zwei gezeichnete Hände halten zwei passende Puzzle-Teile

„Die Globalisierung hat die nächste Stufe erreicht. Bisher war sie getrieben von technischen Entwicklungen und wirtschaftlichen Möglichkeiten. Und plötzlich sind da Menschen. Sie treten hervor hinter Daten, Fakten, Strategien und Analysen – mitten in unser Leben, mitten hinein in unsere Gesellschaft. Politik, ihre Folgen und ihr Versagen werden körperlich erfahrbar, jetzt und hier.“

Dieser unumkehrbaren Entwicklung stellt sich das Aktionsbündnis WIR MACHEN DAS.JETZTein Bündnis von Neuankommenden und Einheimischen.

„Wirmachendas.jetzt“ kümmert sich um den Austausch zwischen Einheimischen und Geflüchteten. Die Plattform wurde von der Schriftstellerin Annika Reich mit Anfang 2016 gegründet. Frau Reich war 2015 helfend vor Ort, als es hieß die vielen Flüchtlinge in Deutschland willkommen zu heißen. Gemeinsam mit 100 Intellektuellen, Autorinnen, Journalistinnen, Künstlerinnen und Managerinnen will sie brauchbare Lösungsansätze für den Umgang mit diesem Zeitgeschehen anbieten. „Ich habe es nicht mehr ausgehalten. Die vielen Geschichten von traumatisierten Menschen nicht, mein Schwanken zwischen Ohnmacht und Selbstüberschätzung (gemeint: ‚ich muss Allen helfen‘) nicht. Ich habe in dieser Zeit Kinder getroffen, die aus dem Krieg nach Berlin geflohen sind, und hier gehungert haben. Ich habe reihenweise obdachlose Familien in den Parks rund um unsere Wohnung gesehen. Alte, Kinder, Menschen im Rollstuhl.“

Im Video, im Gespräch über ein Buch von ihr (Annika Reich: „Die Nächte auf ihrer Seite“, 2015, Carl Hanser-Verlag), will ich dir diese Frau vorstellen, wobei es ab Minute 3 auch um die Grundsatzfrage geht, welche beim Thema Neue Migrationsbewegung immer mitschwingt: ist das Private politisch genug?

https://www.youtube.com/watch?v=634ZubGDPXI

Geflüchtete kommunizieren nun in zahlreichen Initiativen nicht als Opfer mit den Einheimischen, sondern präsentieren sich als das, was sie waren, bevor sie hierherkamen, nämlich gebildet, berufstätig, wie du und ich es sind. Im Wirmachendas.Jetzt-Kontext findet man viele Grafikerinnen, Informatikerinnen, Journalistinnen, Künstlerinnen jeder Art, etc. Die Individualität eines Menschen ist ja nicht definiert durch seinen sozialen Status.

Durch die Unterbringung der Flüchtlinge in räumlich isolierten und abgelegenen Flüchtlingsheimen, war und ist eine alltägliche Kontaktaufnahme mit den meisten Einheimischen unmöglich. Während der kräfteraubenden Zeit des Wartens auf den Asylbescheid sind nach wie vor die meisten Geflüchteten völlig isoliert von den Bewohnerinnen ihrer womöglich neuen Heimat. Wirmachendas.jetzt begann mit dem Angebot zu Gesprächen zwischen Geflüchteten und Einheimischen in lokalen Buchhandlungen.

als Scherenschnitt sieht man eine Frau und einen Mann hand in hand dahinradeln

In der Folge wurden gemeinsame Fotoprojekte initiiert, Selbsthilfegruppen für überforderte Helferinnen angeboten, Begegnungen ermöglicht, die gemeinsames Kochen und Essen in den Vordergrund stellten, und vieles Anderes mehr. Am letzteren Beispiel wird klar, worum es geht: um VERSTÄNDIGUNG, um KENNENLERNEN.

Speisen sind z.B. das primäre Verständigungsmittel für Sprachlose, wie jede weiß, die auf Reisen je zu Gast bei Einheimischen war. Beim gemeinsamen Schmecken und Kauen, Besprechen der Zutaten und Rezepten, im wechselseitigen Erkunden von Vorlieben und Abneigungen lernt man sich mühelos besser kennen, jenseits jeder Sprachbarriere.

Mithilfe des Projekts Weiterschreiben (entstanden durch Wirmachendas.jetzt) können zwei Anliegen gleichzeitig angegangen werden. Die Flüchtlinge schreiben ihre Geschichten auf, zum Erinnern der Heimat, sowie zum Verarbeiten ihrer Traumen durch Verfolgung und Flucht, … und die Einheimischen lernen die Einzelnen verstehen und erfahren mehr über die fremden Länder.

Keine kann sich neue Orte je aneignen ohne der Hilfe derjenigen, die sich bereits länger dort befinden. Integration ist ein wechselseitiger Prozess.

Hände halten einen großen Globus

Wanderungsbewegungen haben seit Anbeginn aller Zeiten einheimische Literaturen angereichert, kulturelle Entwicklung fand und findet immer schon statt durch den fruchtbaren Austausch von jeweils zwei Sprachen, von der der alten und der der neuen Heimat. Die aus verschiedenen Gebieten der Welt Kommenden bringen neue Denkanstöße, z.B. zum Umgang mit Rassismus und Kolonialismus mit.

Neue Perspektiven verändern die Einheimischen sowie die Neuankömmlinge.

(Standard-Artikel von Sabine Scholl, am 1.9.2018, im Album)

Veränderung durch neue Perspektiven ist die allgemeingültige Definition für Entwicklung, für jedwede Entwicklung schlechthin.

Entwicklung = Veränderung durch neue Perspektiven

In unserer globalisierten Welt, wo die Datenvernetzung weltweiten Informationsfluss gewährleistet, ist es des weiteren eine Selbstverständlichkeit, dass immer komplexere Biografien entstehen, dass der Begriff der fluiden Identität hoch korreliert mit der modernen Definition der Cosmopolitin, der Weltenbürgerin.

fünf Hände stoßen in der Mitte zusammen, über einem Computertisch

Ein Literaturbeispiel zum Schluss: Senthuran Varatharajah, Sohn tamilischer Flüchtlinge aus Sri Lanka, beschreibt in seinem Roman ‚Von der Zunahme der Zeichen‘ die allmähliche Eingewöhnung: Je besser die Kinder sich integrieren, desto mehr entfremden sie sich ihren Eltern. “ Die Kinder lernen die Sprache, indem sie fernsehen, die Eltern verharren in der Vergangenheit, in dem sie in die Ferne sehen*.“   (* „wenn ihr fertig mit der Schule seid, gehen wir zurück“. später:“ wenn ihr fertig seid mit dem Studium, gehen wir zurück“.  später:“ wenn ihr geheiratet habt, gehen wir zurück.“)