zwei überkreuzte Schraubenschlüssel in groß

Die Arbeitslosen von Marienthal‚, unter diesem Titel ging d i e berühmte Studie über Arbeitslosigkeit anlässlich der Weltwirtschaftskrise 1929 damals in die Geschichte der Sozialwissenschaften ein.

Im Februar 1930 hatte die große Marienthaler Textilfabrik ihre Pforten geschlossen. Die Folge: Praktisch der ganze Ort war auf einen Schlag arbeitslos, was hieß, dass drei Viertel der 478 Marienthaler Familien ohne Arbeit und Brot dastanden.

Ein Forschungsteam rund um den Soziologen Paul Lazarsfeld nahm sich des Themas an und schuf für die Nachwelt die bis heute „weltweit meistzitierteste Studie zum Thema Arbeitslosigkeit“.

Das damalige Studienergebnis,

– der Verlust des Arbeitsplatzes führt nicht zur ‚Radikalisierung’* der Arbeitslosen (*die Ausdrucksweise von damals), sondern führt zu schrecklicher Apathie, zu Hoffnungslosigkeit und allgemeiner Depression –

wurde seitdem in verschiedensten Untersuchungen immer wieder bestätigt, nie widerlegt.

zwei Bauarbeiter mit je einem gelben Helm und Warnweste scheinen gemeinsam angestrengt nachzudenken, weißer Hintergrund

Mit dem Jahr 2020 macht es das staatlich finanzierte Personalservice ItWorks und der AMS-Landesgeschäftsführer für NÖ, Herr Sven Hergovich, fast hundert Jahre später möglich, dass in Marienthal eine zweite Studie zum Thema Langzeitarbeitslosigkeit, diesmal in die entgegengesetzte Richtung der Fragestellung, durchgeführt werden kann. Die Frage dieser laufenden Untersuchung:

Wenn Arbeitslosigkeit krank macht, was passiert mit Menschen, denen man nach Jahren der erzwungenen Untätigkeit eine Jobchance gibt?

(aus dem Falter 3/22, S 18, Die Arbeitsvollen von Marienthal, v. Nina Horaczek)

„Aus der Statistik erfahren wir, dass sich jene Menschen am Arbeitsmarkt besonders schwertun, die älter sind, die eine gesundheitliche Beeinträchtigung haben, oder nur geringe Ausbildungen vorweisen können.“ – erklärt die Sprecherin der Doku (‚Am Schauplatz: Arbeit für Alle – Keine Arbeitslosen in Marienthal‘ von und mit Peter Resetarits), die ich hier verlinkt habe.

Im Falter-Artikel ergänzt Frau Horaczek die Statistik der hauptsächlich von Langzeitarbeitslosigkeit Betroffenen um die Gruppe der Migrantinnen.

„Langzeitarbeitslose haben derzeit nicht nur die schlechtesten Chancen auf einen Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt. Sie sind auch die am stärksten wachsende Gruppe unter den Arbeitslosen.“ (Falter, ebenda)

Es ist also an der Zeit, Sinnvolles dagegen zu tun!

eine Malrolle und breiter Malpinsel liegen in einer Farbtasse, auf der Wiese

Herr Hergovich startete mit Oktober 2020 das „Modellprojekt Arbeitsplatzgarantie Marienthal“ (MAGMA), in Gramatneusiedl, Ortsteil Marienthal.

Allen Langzeitarbeitslosen wird ein garantierter und vom AMS bezahlter Job für drei Jahre angeboten. In dieser Zeit wird Alles an Unterstützung geboten, was die Einzelne psychisch und physisch braucht, um wieder Freude und Energie für Erwerbstätigkeit generieren zu können. Ziel des Projektes ist es, dass Jede je individuell ihre Wiedereinstiegschancen in die Arbeitswelt maximiert und weiterführend, über diese drei Jahre hinaus, signifikant leichter wieder Arbeit findet.

„Die Mehrheit der Arbeitslosen will Nichts sehnlicher, als rasch wieder zu arbeiten“, weiß Herr Hergovich aus vielen Gesprächen.

Fortlaufende wissenschaftliche Analyse der Uni Wien gemeinsam mit der Universität Oxford, England, soll den Erfolg evaluieren und prüfen. Wie verändert sich das Leben der Betroffenen durch die Arbeitsplatzgarantie? Finden sie dadurch wieder zurück ins Arbeitsleben?

Arbeit hat einen enormen Einfluss auf die mentale und körperliche Gesundheit von Menschen. Das Gefühl gebraucht zu werden, nützlich zu sein, wieder in der Gesellschaft vollwertig integriert zu sein, das ist für Jede von uns unabdingbar wichtig.

eine Frau mit brünetten zwei Zöpfen lächelt in die Kamera, sie sitzt auf einer Couch, nur mit T-Shirt und Unterwäsche und arbeitet offenbar an ihrem Laptop

Dem Staat kostet eine Langzeitarbeitslose in jedem Fall Geld. Geld, das das Land genauso gut aktiv in eine reale Jobverwirklichung stecken könnte, es bliebe sogar bei den gleichen Kosten.

Ob diese These aufgeht, das zu testen ist das ökonomische Ziel der Untersuchung.

Auf der einen Seite sagt man, dass es nicht genug Arbeit für Alle gibt. Auf der anderen Seite muss man nur mit offenen Augen durch die österreichischen Gemeinden fahren und sieht sehr viel davon, was getan werden müsste.

Man erwartet also von den Menschen, dass sie arbeiten, stellt ihnen aber keine Arbeitsplätze zur Verfügung. Für den Sozialwissenschaftler Jörg Flecker ein Problem der verkehrten Sichtweise.

Wenn im Kindergarten mehr Personal wäre, wenn in Parks wieder schöne Bänke stünden, wenn Schulen Hochbeete getischlert bekämen, damit die Kinder selbst Gemüse anpflanzen könnten, würde damit auch ein gesellschaftlicher Mehrwert geschaffen.

Das Forschungsprojekt MAGMA beobachtet bereits nach 15 Monaten Laufzeit der Untersuchung erste positive Resultate. Die untersuchte Gruppe der bei ItWork arbeitenden Langzeitarbeitslosen ist im Ort wieder sichtbar, ihre Aktivitäten haben zugenommen, ihr körperliches und geistiges Wohlbefinden hat sich verbessert.

Man schaut europaweit interessiert nach Gramatneusiedl. „Denn vor kurzem berichtete nicht nur die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in ihrem Länderbericht zu Österreich positiv über dieses Projekt. Auch die International Labour Organization, die Internationale Arbeitsorganisation der Vereinten Nationen, widmete in einer Auflistung der innovativsten Arbeitsprojekte der Welt während der Covid-Pandemie der „small city of Marienthal“ ein eigenes Kapitel.“ (aus dem Falter 3/22, S 18, Die Arbeitsvollen von Marienthal, v. Nina Horaczek)

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