ein Bub steht schüchtern lächelnd vor gezeichneten Muskelarmen links und rechts und einem gezeichneten Doktorhut über ihm.

Im Zeit Magazin, Die Zeit N°33 v. 11.08.2022,S 13, Einfaltspinsel, v. Tillmann Prüfer will es Herr Prüfer wissen. Was ist dran an dem Mythos der Dummheit? Ist ein niedriger IQ wirklich gleichbedeutend mit dumm sein? Und warum sind dann intelligente Menschen oft so dumm?

Herr Prüfer recherchierte und fand einen erstaunlichen Umstand: Interessanterweise ist die Dummheit so gut wie nicht erforscht. Laut PsycInfo, einer der größten wissenschaftlichen Psychologie-Datenbanken, gibt es, Stand 2022,

175.000 wissenschaftliche Arbeiten und Artikel zur Intelligenz, und demgegenüber

nur 230 wissenschaftliche Arbeiten zum Thema Dummheit.

Seine Neugier war geweckt. Herr Prüfer hat Fakten zusammengetragen und half mir dabei, endlich zu verstehen. . . . .

Aber vielleicht zuerst der Reihe nach.

Robert Sternberg, ein Psychologe in den USA, zählt zu den wenigen, die sich wissenschaftlich mit dem Thema Dummheit beschäftigt haben.

Prinzipiell unterscheidet man zwischen einer Dummheit erster und einer Dummheit zweiter Ordnung.

Die Dummheit erster Ordnung:

Laut Jakob Pietschnig ist diese ‚die Unfähigkeit offensichtliche Zusammenhänge zu erkennen‘. Also eine gewisse Schwächung des logischen Denkens, der Fähigkeit zum Analysieren.

Robert Musil, 1937: im Vortrag ‚Über die Dummheit‘ benennt er diese als „‚ehrliche‘ und schlichte Dummheit, die auf einem schwachen Verstand beruht.“

Die Dummheit zweiter Ordnung:

(Sie ist es, die mich seit Jahrzehnten umtreibt. Sie ist es, die ich, an durchaus intelligenten Menschen beobachtbar, nie einordnen konnte.)

Pietschnig: es handelt sich um die Dummheit bei gleichzeitig eindeutig gemessener Intelligenz. Ein solcher Verstand hat eine einzige deutlich ausgeprägte Schwachstelle, nämlich die der Selbstüberschätzung. Diese Dummheit ist „die weitaus gefährlichere“ laut Pietschnig.

Frau in rotem knielangem Kleid mit Hut in der Hand und Tanzschuhen an den Beinen lächelt verführerisch in die Kamera, halblanges gewelltes blondes Haar

Zusammenhänge werden dort ‚erkannt‘, wo keine sind. Man kennt die Fakten und schließt die falschen Schlüsse daraus.

Musil spricht von der „anderen“ Dummheit, die, ‚ein wenig paradox, sogar ein Zeichen von Intelligenz ist.‘ Er benennt das Paradox, dass Jede, die über Dummheit spricht, voraussetzt, über den Dingen zu stehen und also klug zu sein. Und das obwohl genau diese Anmaßung als Zeichen für Dummheit gelten muss.

Musil hat in seinem Vortrag auch ein ‚Mittel‘ gegen die Dummheit erwähnt und das sei die Herzensbildung, oder auch Herzensgüte.

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'Dummheit' als Begriff gibt es nicht. Sie ist die Umschreibung für "Intellektuelle Entwicklungsstörung". Und, ganz klar, hier ist die Dummheit erster Ordnung gemeint.

Elsbeth Stern, Intelligenzforscherin der ETH Zürich: Dummheit ist kategoriell eine ‚Intellektuelle Entwicklungsstörung‘. Im Diagnoseschema der Weltgesundheitsorganisation, im ICD-11, findet sie sich im Code 6A00 wieder.

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Edwin Boring, ein amerikanischer Psychologe sagte 1923 sinngemäß: „Intelligenz ist, was ein Intelligenztest misst.“ Mehr nicht.

ein Delphin schaut mit dem Kopf in Grossaufnahme aus dem Wasser, er scheint zu lächeln

Der IQ-Wert (Intelligenzquotient) bzw. die Messung und Bewertung unseres Denkens wurde erst wichtig, als man begann, die Menschen gemäß ihren Fähigkeiten einordnen zu wollen. Die Menschen auf Intelligenz-Skalen zu verorten erleichterte zum Beispiel im modernen Krieg die Einschätzung der Kampfressource Mensch.

Im Wesentlichen sind Intelligenztests bis heute nichts anderes als Brauchbarkeitstest für die Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft.

Sie prüfen ein Bündel vordefinierter Denkfähigkeiten wie Logik, Sprachverständnis, Arbeitsgedächtnis und Verarbeitungsgeschwindigkeit.

Fähigkeiten, die an einen Computer erinnern.

„Menschen, die beim Intelligenztest sehr gut abschneiden, haben deshalb eine gute Passung bei Tätigkeiten, die auf diese Fähigkeiten abzielen.“ (Tillmann Prüfer, S 17)

Und: „Intelligente Menschen sind zum Beispiel nicht unbedingt die besseren Menschen.“

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Zurück zur Dummheit zweiter Ordnung:

‚All die Menschen, die uns zurzeit mit ihren Dummheiten die größten Probleme bereiten, haben einen hohen IQ‘, so exploriert Sternberg.

Für Sternberg haben viele solcher Dummen eine Gemeinsamkeit:

Menschen, die große Fähigkeiten auf einem bestimmten Gebiet haben, tendieren zum Glauben, dass sie große Fähigkeiten auf allen Gebieten hätten. Sie überschätzen sich.

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Je mehr Bestärkung sie von ihrem Umfeld erhalten, desto unfehlbarer glauben sie zu sein – und desto eher kommt es zum Desaster.

Die Imbalance Theory of Foolishness von Sternberg formuliert:

Das Risiko kolossaler Fehlleistungen steigt, je mehr man sich allwissend, omnipotent und unverwundbar fühlt.

= > Etwas ist aus dem Gleichgewicht geraten, ist nicht mehr ausbalanciert.

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Ernst Pöppel, Neurowissenschaftler in München, forscht seit 60 Jahren am menschlichen Gehirn.

Wir Menschen würden uns selbst so gerne mit den Gesetzen der Logik erklären wollen. Dies habe aber leider wenig mit der Funktionsweise unseres Gehirns zu tun.

die Skulptur eines Gehirns mit Spielzeugautos rundherum und darauf, alles in grau gehalten

Das menschliche Gehirn ist nicht berechenbar

Die Affektlogik besagt, dass jeder Gedanke auf einer Emotion aufbaut. Auf je einer Emotion von vielen, die wir uns angeeignet haben im ersten Lebensjahr. Im ersten Lebensjahr, das der bewussten Erinnerung nicht zugänglich ist.

(Luc Ciompi, der Begründer der Affektlogik; Jonathan Haidt, amerikan. Moralpsychologe an der Stern School of Business)

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Unser Gehirn umfasst 100 Mrd. Zellen und jede Zelle ist mit 10.000 anderen Zellen verbunden. Das bedeutet: Alles, was wir reflektieren, denken, entscheiden, empfinden und tun, all das unterliegt einem komplexen Wechselspiel von unzähligen Faktoren und Reizen.

Dieser Prozess ist unübersichtlich und kaum zu durchschauen – und nie zu 100% rational. UND er ist energieaufwendig:

Unser Gehirn macht 2% der Körpermasse aus, verbraucht aber 20% der Energie, die wir aufnehmen. Das hat zur Folge:

Unser Gehirn versucht zu sparen, wo es kann. Und die beste Art zu sparen ist Komplexitätsreduktion => diese verdichtet sich zu Vorurteile.

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Diese also energiesparenden Vorurteile bedeuten eine ständige grobe Vereinfachung unserer viel zu komplexen und multifaktoriellen Lebensumstände. Glaubenssätze, auch Heuristiken (a) genannt, und Kognitive Verzerrungen (b) helfen uns dabei.

a) Heuristik-Beispiele:

  • Fremden darf man nicht trauen.
  • Reiche Menschen sind schlecht. etc

Unsere individuellen Glaubenssätze sind geprägt von eigenen Erfahrungen und konditioniert durch das primäre soziale Umfeld zur Zeit unseres Kind-Seins (ad Affektlogik).

Wird eine Heuristik durch eine offensichtlich widersprechende Tatsache infrage gestellt, dann neigen wir dazu, nicht diesen Glaubenssatz zu hinterfragen, sondern die ihr widersprechende Tatsache.

b) Denk-Verallgemeinerungen helfen dem Gehirn aber auch, Energie zu sparen. Als Beispiel:

Menschen neigen dazu, Denkmuster, die in einem begrenzten Bereich gut funktionieren, auf andere Bereiche zu übertragen, in denen sie eigentlich nicht passend sind.

Wer sich sicher fühlt in logischen Schlussfolgerungen und diese als Lösungsweg für Probleme erkannt hat, neigt dazu, sie auf sämtliche andere Erfahrungsbereiche zu übertragen.

Leider aber kann man einen Beziehungsstreit selten mit logischen Argumenten beilegen.

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Das Gegenteil von Dummheit ist daher nicht der hohe IQ, sondern die adaptive Intelligenz.

eine hohe nadelförmige Klippe ragt aus dem Meer, darauf ein kleiner einzelner hochgewachsener Baum

Wer adaptiv intelligent ist, der macht sich seine eigenen Grenzen bewusst und versucht, nicht nur das Beste für sich zu erreichen, sondern auch für Andere.

Zur adaptiven Intelligenz zitiere ich Tillmann Prüfer an dieser Stelle:

„Es gibt keinen einfachen Weg, das(*) zu ändern. Man kommt bloß weiter, indem man sich zwingt, der eigenen Meinung zu misstrauen und sich aktiv für alles zu interessieren, was dem eigenen fest gefügten Bild widerspricht. Nur so könne man wirklich etwas lernen, riet mir Pöppel, das eigene Paradigma erweitern oder auch korrigieren.“

(*die Energiesparmaßnahmen unseres Gehirns = Vorurteil und Verallgemeinerung)

In meinem Namen zum Thema:

X X X X X X X X

—>> Darf ich hier für weitere Inspiration empfehlen: ‚Kultur ist der Motor‘.