ein Cartoon, rechts ein grüner Virus, links ein Manderl mit Spritze und Medikament, übergross

„Wir erleben nicht nur eine Weltviruskrise, sondern auch eine dramatische Stunde des Qualitäts-Journalismus‘ in einer offenen Gesellschaft. Denn gerade jetzt sind das Sortieren von Informationen und die Interpretation des Geschehenen besonders wichtig. ………. .

Beobachten, was in dieser Krise geschieht und erklären, warum es geschieht um dann zu bewerten, ob das Richtige geschieht – das müssen Journalisten jetzt leisten. Denn wie in jeder Krise wächst mit der Verunsicherung der Menschen auch ihr Bedürfnis nach Orientierung und Information. ….. .

Und wenn man sich anschaut, was viele Journalisten jetzt schreiben oder senden, dann stößt man auf großartige Hintergrundberichte, glänzende Recherchen, konstruktive Alltagshilfe, die kühle Demontage von Fake News. Alles unter Hochgeschwindigkeitsbedingungen. Es hat schon einen Grund, dass der Zuspruch zu vielen klassischen Medien gerade wächst.

Und dennoch gibt es eine dunkle Seite des Ganzen. Den Schnappatmungs-Journalismus. Zuspitzung und Dramatisierung. Und eine Rhetorik der Alternativlosigkeit, die es im Verhältnis zur Tragweite der von der Politik im ‚Schnell, schnell‘ – Modus getroffenen Entscheidungen so auch noch nicht gegeben hat. Es ist die Gleichzeitigkeit des Verschiedenen, die sich gerade beobachten lässt. …… .“

Man reagiert abwehrend und sich rechtfertigend gegenüber Vorwürfen, wie z.B. vom Virologen Christian Drosten:

  • es sei ‚kontraproduktiv, wie politische Journalisten im Moment fragen‘,
  • es werde versucht ‚Konflikte zwischen Wissenschaftlern zu schüren und zu überzeichnen‘,
  • es mache wütend, wie ‚Personen für ein Bild missbraucht werden, das Medien zeichnen wollen, um zu kontrastieren‘.

„Ergiebiger scheint es, die Kritik ernst zu nehmen und zur Selbstbefragung zu nutzen. ….. .

Womöglich gibt es einen Zwang zum Bescheidwissen, der am Ende nur eigene Vorurteile reproduziert. Woran liegt das? ….. .

DIE HELDEN-FALLE

ein Ritter mit gezogenem Schwert schaut herausfordernd in die Kamera

Je komplexer das Geschehen, desto wichtiger wird die Person im Verbund mit einer guten Geschichte. Wir denken und leben in Geschichten. Aber irgendwann schiebt sich die Heldenstory vor die Sache, und dann geht es

  • wie bei Edward Snowden nicht mehr um die anlasslose Massenüberwachung, sondern um das private Schicksal (eine archetypische David-gegen-Goliath-Geschichte),

siehe Beitrag “Es lebe die Demokratie

  • wie bei Greta Thunberg nicht mehr um den Klimawandel, sondern darum, wie eine 16-Jährige ihren Ruhm verkraftet und wie es so ist, im ICE durch Deutschland zu fahren.

Personalisierung ist Komplexitätsreduktion, die das eigentliche Thema verschwinden lassen kann. …… .

Wird Veranschaulichung zum Personenkult, ist das nicht nur deshalb schwierig, weil sich dann kaum noch jemand ums eigentliche Thema kümmert.

Es wird auch zum Problem für den Helden. Aufstieg und Absturz liegen nahe beieinander. Macht der Held einen Fehler, kippt die Stimmung ins andere Extrem, nach dem Motto: Das haben wir doch immer schon geahnt.

Politiker haben sich daran gewöhnt. Für Wissenschaftler aber, deren Ziel nicht Machterwerb, sondern Erkenntnisgewinn ist, kann die Personalisierung die eigene Arbeit gefährden:

In der Forschung sind Fehler die Grundlage für Fortschritt.

In der personalisierten Öffentlichkeit sind Fehler gleichbedeutend mit Niedergang und Versagen.

DIE ZYNISMUS-FALLE

ein Bub in bedrucktem T-Shirt schaut mit skeptischer Grimasse in die Kamera

Auch für Qualitäts-Journalisten ist diese Krise anders als jede zuvor. Sie ist schwieriger zu begreifen und viel emotionaler, weil sie Jeden betrifft, beruflich wie privat. Dramen und Krisen, die eskalieren – das ist die intensivste Zeit für Journalisten, und gleichzeitig fühlt man sich ohnmächtig, kann schlechter recherchieren, sehnt einfach das Ende der Krise herbei.

Man sucht Halt und verliert ihn zugleich.

Guter Journalismus ist so etwas wie die Kartografie der Lebenswirklichkeit. Aber wenn das Leben gerade ziemlich kompliziert geworden ist und die Gründe und Folgen der Krise so vielschichtig sind, dann ist es vor allem für politische Journalisten sehr einfach, sich auf ein Feld zurückzuziehen, auf dem sie sich auskennen – die Machtpolitik.

Sie ist überschaubar, scheinbar eindeutig, und es gelten die vertrauten Maßstäbe. „

  • ‚Geht es Ihnen darum, als der härteste Corona-Bekämpfer wahrgenommen zu werden?‘ … oder
  • die journalistische Frage, ob er/sie sich ’nicht doch durchgesetzt‘ habe bei den Ausgangsbeschränkungen. ..oder
  • ob eine Politikerin auf die Kanzlerschaft spekuliert oder Kanzlerin bleiben könnte. < (gekürzt) >

Als ob es zur Zeit keine drängenderen Fragen geben würde. Macht ist jetzt nicht so wichtig.

„Nur um nicht falsch verstanden zu werden: Nichts spricht dagegen, in einer unübersichtlichen Lage nach Konflikten zu fahnden. Aber die Metaphern von Wettkampf, Sieg oder Niederlage wirken gerade in dieser Krise zynisch, weil sie Politik als reines Machtspiel präsentieren. ….. .

Entscheidend ist im Moment, ob die Verantwortlichen ihre Arbeit gut machen – und woran man das erkennt oder eben nicht erkennt. Dem gilt es hinterherzuspüren, auch wenn es mühsam ist: Für die Journalisten ist ja nicht nur das Erklären oder Bewerten der Regierungspolitik schwieriger geworden – sondern (da fast das ganze Land in Home-office ist) auch das bloße Beobachten.

DIE HARMONIE-FALLE

Frau in Yoga-Haltung auf einem Bein mit den Händen über dem Kopf gefaltet vor einem See stehend

…. . In der ersten Phase der Krise mag es richtig gewesen sein, vor allem auf Virologen zu hören und medizinische Maßnahmen zu diskutieren. Aber nun erleben wir die wohl größte Einschränkung von Grundrechten in der Geschichte der Republik.“ … und da darf die journalistische Kritik nicht fehlen.

  • „Das öffentliche Leben ist weitgehend lahmgelegt, die
    • Reisefreiheit ebenso beschnitten wie
    • die Religionsausübung.
  • Alte Menschen sterben, ohne dass sie von ihren Angehörigen noch einmal besucht werden können.

Es geht in dieser zweiten Phase jetzt darum, die gesellschaftspolitsche Debatte zu eröffnen. Es braucht Ökonomen, Soziologen, Psychologen, Philosophen und Juristen – und zwar nicht nur als Hilfswissenschaftler, die sich bekümmert darüber äußern, wie man die Kollateralschäden des Krisenmanagements abzufedern vermag.

Warum ist die Weitung der Perspektive zentral? Weil es buchstäblich um alles geht. Um

  • die Zunahme häuslicher Gewalt.
  • die Rolle von Menschen, die an der Supermarktkasse und als schlecht bezahlte Pfleger ihren Dienst tun.
  • den Verlust der beruflichen Existenz.

Vielleicht kommen die Debatten auch deshalb so zaghaft in Gang, weil in der Stunde der Krise die Lebenslüge der westlichen Gesellschaft spürbar wird.

Denn sie beschwört einerseits den unbedingten Wert des menschlichen Lebens, aber handelt andererseits ökonomisch und ökologisch häufig nach den Prinzipien des Nützlichkeitsdenkens.

Wir sind – im Reden – Kantianer, aber im Alltag Utilitaristen, für die es sehr wohl einen Unterschied macht, ob uns die potenziellen Opfer nahe sind und ob wir selbst betroffen sein könnten (wie lange kann das Land einen Lockdown vertragen?, ab wann sind die Kollateralschäden größer als die Ur-Katastrophe?). … .“

Doch hört und liest man: ‚Bloß keine Exit-Debatte! Nicht jetzt!‘, ‚Diese Politik ist alternativlos‘.

„Aus Sicht der Regierung mag solch ein Diskurstabu verständlich sein. Aber ist es das auch aus Sicht der Bürger? Und wäre es nicht die Aufgabe der Journalisten,“

– im persönlichen Eingestehen von Kummer und Betroffenheit -,

„die schwierigsten Fragen zu stellen, zu diskutieren und Dilemmata sichtbar zu machen?

VOM UMGANG MIT UNGEWISSHEIT

Eine Figur steht auf einer Sprungfeder und um ihn herum sind viele Reissnägel nach oben gerichtet

‚Information ist schnell, Wahrheit braucht Zeit‘, hat der Netzphilosoph Peter Glaser einmal gesagt, und ganz sicher würden die meisten Journalisten in dieser Krise gern viel mehr Zeit zur Einordnung und Sortierung haben.

  • Eigentlich müsste man in jedem Artikel die unsichere Datenlage und die Annahmen hinter den Modellrechnungen transparent machen. Das geschieht allerdings selten, weil: keine Zeit.
  • Eigentlich müsste man, wenn es um die Toten geht, zwischen jenen unterscheiden, die an Corona gestorben sind, und jenen, die mit Corona starben. Aber diese Daten gibt es nicht.

Wichtige Zahlen sind bestenfalls einzuschätzen. Und jede Stunde kommen neue, ganz andere Zahlen dazu.

Auch Journalisten verfolgen die Entwicklung atemlos, sind gehetzt, schlafen zu wenig. Auch sie sind erschöpft, machen Fehler. Aber Journalismus in Krisenzeiten verlangt das Kunststück der Paradoxiebewältigung: Es gilt zu

  • erklären und einzuordnen, was sich noch gar nicht richtig erklären und einordnen lässt.
  • kritische Distanz zu wahren, auch wenn man selbst gerade fortgerissen wird von den Ereignissen oder der eigenen Angst. ….. .“

zum Großteil wörtlich wiedergegeben, stellenweise gekürzt, aber immer eng am Text angelehnt, aus der Wochenzeitschrift DIE ZEIT v. 8. April 2020, N°16, S6, Artikel: „Angesteckt“ von Marc Brost und Bernhard Pörksen)